Über Russland nach Tiflis

Die Vorgeschichte: Auf nach Russland

11.-14. September




Der Fahrer fährt uns von Wladikawkas in Russland bis nach Stepansminda, dem ersten Ort in Georgien jenseits der russischen Grenze. Russen haben kein Problem dabei in Georgien einzureisen. Sie haben Visafreiheit. Umgekehrt sieht das ganz anders aus.

Das kleine Städtchen fühlt sich an wie ein internationaler Flughafen. Überall wuseln Touristen umher. Dort eine Seniorengruppe aus Österreich, dort ein paar Individualisten aus den USA. Der Grund für den Massenandrang ist weder die Schönheit der Stadt noch die verkehrsgünstige Lage. Auf dem nahen Berg liegt das Kloster Katzbegi, das pitoresk vor den Bergen des Kaukasus liegt, allen voran vor dem Kasbek – dem 5000 Meter hohen mythischen Berg, an dem Prometheus dafür angekettet wurde, dass er eigenmächtig und gegen den Willen der Götter aus Mitleid den Menschen das Feuer brachte. Er mochte auch die Aussicht nicht recht genießen, da ihm ein Adler jeden Tag seine Leber fressen sollte.

Wir haben fast genauso wenig Genuss für den Ausblick an diesem klaren Tag. Diese Massen an Menschen erdrücken uns und mit all unserem Gepäck wollen wir nicht hinauf zum Kloster. Also beschließen wir wieder zu kommen und schauen uns nach einer Möglichkeit um nach Tiflis, beziehungsweise “Tbilisi“, wie es in den meisten Sprachen heißt, zu kommen.

Der Fahrer fährt uns langsam zu einem großen Platz und schafft es im Schneckentempo eine ältere Dame mit seinem Seitenspiegel zu rammen. Während Uli unser Gepäck vor den österreichischen Senioren beschützte und wir den Fahrer und die Dame miteinander streiten lassen gehe ich umher und prüfe die Lage. Es fahren alle zwei Stunden sogenannte Maschrutkas die 250km in die georgische Hauptstadt. Die nächste Möglichkeit ist allerdings schon voll. Ich wechsle für einen verrückten Wechselkurs unsere letzten Rubel gegen die lokalen Lari. Dann will ich mal sehen, ob es vielleicht Lastwagenfahrer gibt, die uns mitnehmen können. Dabei begegne ich jedoch einem Touristenpärchen, das gerade mit einem Mann über eine Fahrt nach Tiflis mit seiner eigenen Maschrutka verhandelt. Es soll losgehen, sobald sein Gefährt voll ist. Die Fahrt kostet für Uli und mich nicht einmal zwanzig Euro, soviele Lari habe ich gerade noch von der Wechselstube bekommen. Das Pärchen will allerdings noch einen Stopp arrangieren, um an einem Punkt unterwegs einen Tandemflug mit Gleitschirmen zu machen. Ich kann es kaum erwarten meinem gleitschirmbegeisterten Reisegefährten von unserer Route zu erzählen.


Wir starten umgehend, als in dem Gefährt noch ein Holländer und ein Pärchen aus Polen Platz genommen haben. Das initiale Pärchen stammt aus Deutschland bzw. den Färöer Inseln. Der Fahrer heizt die Straße herunter, als hinge das Leben seiner Familie von seiner Geschwindigkeit ab.

In Haarnadelkurven, die offensichtlich uneinsehbar sind, kann er immerhin noch mehrere LKW überholen. Aber es gibt immerhin WiFi an Bord!



Wir stoppen am Startplatz der Gleitschirmflieger und genießen das unglaubliche Panorama. Ich wandere auf der Jagd nach schönen Fotomotiven durch die Gegend und schreite um ein zerfallenes Gebäude. Es könnte früher ein Hotel gewesen sein. Man findet hier viele Überbleibsel aus kommunistischen Zeiten, die jetzt zerfallen. Ich bin neugierig und öffne den Draht der großen hölzernen Eingangstür, an der ein Hundewelpe wacht.

In dem ehemals eindrucksvollen Gebäude scheinen nun die Kühe zu hausen, es sieht ganz klar nach Stall aus. Was die friedlichen Widerkäuer jedoch mit den frischen blutigen Schafsköpfen auf dem Regal neben dem Eingang bezwecken bleibt mir ein Rätsel. Angewidert wende
ich mich ab.



Am Himmel kreisen unsere Freunde und setzen, einer nach dem anderen, wieder zur Landung an.
Wir passieren einen Ort, der auch bei Sankt Moritz sein könnte.

Gudauri soll das georgische Pendant im Kaukasus dazu werden und bietet Alpenhütten und Skilifte für die Schneebegeisterten.



Im Gespräch mit dem mausgesichtigen Mädchen aus Polen, dem wir von unserem Plan erzählten in Tiflis ein Auto zu mieten, ergibt sich der

folgende piepsige Kommentar:

“I would not recommend to drive in Georgia. The people drive crazy and there are cows everywhere on the streets”!!!”

Durch ihre Nagetierstimme klingt das besonders lustig. Wir sollen diese Worte noch oft im Chor auf der Reise wiederholen, sobald wir Kühe, Schafe, Ziegen oder sonstige Vierbeiner vor uns auf der Straße sehen.

Dass die Leute hinter dem Steuer jedoch vollkommen irre sind demonstriert uns der Fahrer unser Maschrutka anschaulich. Es ist ausnahmsweise nicht einmal sein kopfloses Überholmanöver, sondern das eines Geistesgenossen im Gegenverkehr, der halsbrecherisch an einem Reisebus vorbeisetzt und die Existenz entgegen kommender Fahrzeuge komplett ignoriert. Unser Fahrer bringt uns in letzter Sekunde auf einem schottrigen Seitenstreifen in Sicherheit, bekreuzigt sich dreimal und betet ein paar Minuten still vor sich hin. Dann setzt er seine Fahrt mit derselben Risikobegeisterung wie zuvor fort. Es dauert nicht lange und eine der jungen Frauen muss den Wagen halten lassen, um sich im Gebüsch zu übergeben.




An einem Stück erreichen wir dennoch Tiflis an einem unglaublich bedränkten Reiseumschlagsplatz. Massen an Maschrutkas und Taxis drängen sich beieinander und Menschen eilen aneinander vorbei. Mit dem Holländer organisieren wir ein Taxi, das uns für läppische drei Euro ins historische Herz der Stadt bringt. Dort verabschieden wir uns von Jan. Per Zufall werden wir uns einige Zeit später in der Küstenstadt Batumi wieder treffen.

Ich habe wieder eine schöne Unterkunft im Internet für uns gefunden, eine ganze Wohnung für uns für die vier Tage, die wir hier sein wollen, für wieder nur wenige Euro.

Das Taxi muss gefühlt senkrecht den Berg hoch zu der Straße steuert, in die wir wollen. Es gibt keine Hausnummer, aber eine junge Frau dort war auch gleich die richtige Ansprechpartnerin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in der Wohnung nebenan und vermietet das Haus, das von außen ein wenig den Eindruck erweckt, dass ein kleines Erdbeben oder ein paar enthusiastische Holzwürmer den Unterschied zwischen Immobilienbesitzern und Nomaden machen können. Ohne Frage ist die Wohnung und der Ausblick über die Stadt aber unbeschreiblich schön!



Tiflis ist im Umbruch. An jeder Ecke ist man dabei die betagten Häuser auf Vordermann zu bringen. Die klassischen georgischen Häuser sind zweistöckig in mediterranem Stil und zeichnen sich durch ihre unglaublich filigran gearbeiten Schnitzereien, besonders in den Fensterläden und Geländern, aus. Die Altstadt ist übervölkert mit Touristen. Es scheint, dass die Perle des Kaukasus längst kein Geheimtipp mehr ist.
Hungrig und neugierig lassen wir uns dennoch ein schönes Lokal überreden und sitzen abseits von Touristen am Tisch zu einem grünbewachsenen Innenhof. Als Erfinder des Weines gerühmt müssen wir natürlich dieses Original zu einer Reihe lokaler Gerichte ausprobieren. Walnüsse und Auberginen scheinen in der Beliebtheitsskala georgischer Hausfrauen immer weit oben gestanden zu haben.

Die Vorspeise besteht im Restaurant “Abajuri” aus Aubergine mit Walnuss Paste und Petersilie und nennt sich “Chvishtari“. Dazu gibt es warmen Salat mit geschmolzenem Käse und als Hauptgericht Hühnchen in Käse, Knoblauch und Sahne (Chkmeruli). Als Snack lassen wir uns dazu Maisbrot mit Käse gefüllt und den lokalen Schnaps Chacha reichen, der wie Grappa aus dem gewonnen wird, was nach der Weinpresse übrig bleibt. Zum Abschied gibt es noch Jogurt mit Honig und – natürlich – Walnüssen. Jetzt wundern wir uns nicht mehr, warum die Russen immer von der georgischen Küche schwärmten.

Bevor wir gehen spricht uns auf das Stichwort auch ein junger Russe an, mit dem wir über Georgien sprechen. Er war schon eine ganze Zeit hier unterwegs und hat einige Tipps für uns.



Wir erkunden die Stadt und tauchen weiter in die Globalisierung des Planeten ein, als wir in einer Rock Bar einer Deutschen mit ihrem Freund aus Russland begegnen.

Wir sehen viele Autos mit deutschen Aufschriften, es gibt deutsches Bier und japanische Autos mit dem Steuer auf der ungünstigen rechten Seite.



Wir besuchen viele der orthodoxen Kirchen und schwitzen in der Hitze des sommerlichen Herbstes. In einer Kellerbar ohne Namen treffen wir die Couchsurferin Tamuna, die uns bei einem hervorragenden Wein von Wanderungen in Georgien erzählt.

Sie macht uns wenig Hoffnung auf unsere Pläne in den Bergen, da ihrer Meinung nach trotz der Hitze hier in Svanetien und den anderen Tälern schon knietief der Schnee liegen wird. Wir sollen später in kurzen Hosen und Ärmeln feststellen, dass die hübsche junge Frau nur Blödsinn erzählt.



Mit der Couchsurferin Ann treffen wir uns am nächsten Tag in ihrem Hostel, der Fabrika – einem alten Industriekomplex, der nun eine beeindruckende Kulisse zur Übernachtung junger Leute wurde. Ann zeigt uns einen märchenhaften ruhigen Innenhof, der von außen nicht als Gastronomie erkennbar ist. Es sind nicht viele Leute da, auch wenn der Platz da ist.

Wir sitzen im Schatten von Zitronenbäumen und bewundern junge Grafittis an den freien Stellen des paradiesischen Gartens. Dort führt sie uns ebenfalls wieder in die geniale Küche Georgiens ein bei einer vegetarischen Schale von diversen Köstlichkeiten.



Mit der Seilbahn fahren wir auf den Hausberg, um dort auf der Festung den Sonnenuntergang auf georgisch mit einer Flasche Chacha zu feiern. Neben dem alten Gemäuer thront die gewaltige Statue einer Frau mit einer Schale und einem Schwert, die in Richtung der Stadt blickt. Diese Gegenstände sollen die Gastfreundschaft, mit der Fremde mit Wein begrüßt werden, und der Wehrhaftigkeit gegenüber Feinden, symbolisieren.

Es gibt kein Eintrittsgeld zur Festung, dafür konnte man auch keinen Komfort erwarten. Wir klettern mit Händen und Füßen einen Turm hinauf, über ein gut gemeintes Geländer und lassen unsere Füße über dem Abgrund baumeln, während wir den Schnaps an unsere Lippen setzen und die Sonne die Stadt in Gold gießt.



Wir teilen unseren Platz und unseren Chacha bald mit einem Deutschen, zwei Iranern und einer großen Flasche Bier. Wir posieren noch etwas vor dem pitoresken Abgrund, bevor Uli und ich wieder für uns sind. Der junge Deutsche namens Jonas trampt bereits seit Monaten durch Zentralasien.

Da wir zufälligerweise am folgenden Tag in dieselbe Richtung wie er wollen, laden ihn ein uns am nächsten Tag morgens an unserer Unterkunft zu besuchen und mit uns zu fahren.


Wir lernen die Russin-Israelin Janna kennen, die als Violonistin für ein Konzert die Stadt besucht.

Jonas freut sich und bricht auf, um seine Sachen zu packen, während wir noch den Blick über die nächtliche Stadt genießen. Als es dunkel wird suchen wir unsere Stirnlampen aus den Taschen und klettern die bröckelnden Mauern herunter.

Wir bemerken im Dunkeln eine taumelnde Gestalt vor uns und schließen zu ihr auf. Die Gestalt stellt sich als junge Frau heraus, die ohne Licht, aber mit langem Rock und denkbar ungünstigen Schuhen über das unsichtbare Geröll rutscht.

Uli und ich geleiten sie mit Licht und Unterstützung bis zur sicheren Straße und kommen ins Gespräch. Bei einem großartigen georgischen Wein berichte sie davon, dass sie Israelin/Russin und Violinistin beim Israel Symphonic Orchestra ist und in wenigen Tagen ihr Auftritt in Tiflis sein wird. Janna lädt uns ein dabei zu sein, doch wir haben genug von Städten… Wir wollen in ein paar Tagen tief in der Natur sein. Wir tauschen unsere Kontaktdaten und hoffen sie in Zukunft bei einem Auftritt hören und sehen zu können.