Die Datscha in Nirgendwo

Zurück zu Priviet, Sankt Petersburg…

4. September 2017


Am ersten Tag in Sankt-Petersburg wollten wir uns sofort das größte Highlight der Stadt gönnen. Die Eremitage! Doch dank Couchsurfing sollten sich die Pläne von Uli und mir nach dem Aufstehen schlagartig ändern. Ich hatte angegeben, dass wir uns gerade in Sankt-Petersburg waren und uns gerne mit Leuten treffen wollten.

Mir schrieb eine Olga (natürlich war es eine Olga) und fragte, ob wir spontan seien. Ich erinnerte mich kurz an die vergangenen zwei Tage und meinte, dass Spontanität unser zweiter Vorname sei. Ob wir Lust hätten sie in ihrer Datscha zu besuchen. Sie könnte uns dort auch ein verlassenes Sowjetlager zeigen. – Ja klar!

Dann begann Olga: “Gut, ihr müsst in 20 Minuten von der Station Sasskaya die Rote Line fahren bis zum Ende, das dauert etwa eine Stunde, dann steigt ihr aus und geht die Treppen bis zum Bahnhof hinauf, dort geht ihr zum Ticketschalter und zeigt denen folgenden Text . Darauf erhaltet ihr einen Hin- und Rückfahrschein. Ihr fahrt bis nach Kuzmulovo, meinem Ort, etwa eine halbe Stunde. Steigt aus, geht nach links bis zur Straße, dort nach rechts. Wollt ihr richtig gutes russisches Brot, kauft dort an dem Stand. Dahinter ist ein Markt. Kauft dort etwas Gemüse.

Gegenüber stehen immer Autos. Das sind Taxis. Gebt einem Fahrer das Telefon, ich erkläre ihm den Weg.”

Wow. Ich war kurz baff, dann zog ich Uli auch schon aus dem Zimmer, damit wir noch unsere U-Bahn rechtzeitig bekämen. Olgas Plan klappte wie am Schnürchen. Am Bahnhof waren wir unsicher mit dem Ticketschalter und stammelten etwas zu russisch und Olgas Text vor einer Bahnbediensteten. Die gutgelaunte kugelige Frau lachte und brachte uns zum richtigen Schalter und sagte ein paar Worte, nach denen wir sofort ein paar Tickets erhielten, die sie gleich löcherte und uns zum abgeriegelten Gleis hindurch ließ.

Der Zug klapperte eine gefühlte Ewigkeit durch den Wald, bis wir Kuzmulovo erreichten. Wir kaufen Brot und Gemüse und sprachen den erstbesten Typen mit Auto an und hielten ihm mein Handy ans Ohr. Der Kerl war natürlich nur in Jogginghose und fuhr die heruntergekommenste Schrottkiste, die ich jemals abseits eines Schrottplatzes zu sehen bekam. Aber das ist ja Russland. Er lächelte und nickte, lächelte und nickte, lächelte und nickte, während Olga mit ihm sprach, bis er nach einer Ewigkeit das Telefon an mich weitergab.  “Alex. Wie geht’s. Du – das ist gar kein Taxifahrer!”



Aber der Typ wartete mit uns zusammen lächelnd und grinsend, unterhielten uns mit unserem kleinen russischen Vokabular (Mercedes gut), bis eine andere Schrottkiste kam, die tatsächlich ein Taxi war. Unser Freund erklärte dem Fahrer, wo wir hin mußten, um endlich in den Gemüseladen zu gehen.

Das Taxi verließ mit uns das Dorf, die Straße und den letzten Rest von Zivilisation und rumpelte eine Zeit lang über eine Schotterstraße in den Wald hinein bis zu einem noch winzigeren Dorf aus Holzhütten, in dem man sich auch gar nie erst die Mühe gemacht hatte irgendetwas zu asphaltieren. Vor einem Zaun hielt er an und wir gaben ihm ein paar Rubel, bevor er uns wieder verließ.

Wir spähten durch das Gartentor und wurden von Olga begrüßt – einer junge Frau mit wirren Haaren und einer Jacke in der gleichen türkisen Farbe wie die Wände der Datscha hinter ihr. Die Hütte machte dein Eindruck auch nur von ebendieser Farbe nur noch zusammengehalten zu werden.

Olga ist selbst einige Jahre durch die Welt gereist und hat Jahre in Südostasien verbracht, weswegen wir prima Gesprächsthemen haben. Weltreisende verstehen sich immer gut, da man eine gewisse Mischung aus Neugier und Entspannung teilt.



Nach einer ersten Kennenlernrunde bei garteneigenem Tee machen wir einen Spaziergang durch den umliegenden Wald, um das versprochene Geister Camp der Sowjets zu besichtigen. Olga kennt jede Pflanze und ihre Wirkung. Wir kennen nicht jeden Namen auf Englisch, aber die meisten Pflanzen haben wir auch schon gesehen. Sie selbst interessiert sich sehr für die Bewohner der Natur, wohnt selbst jedoch in Sankt Petersburg und kommt nur bei Gelegenheit in die Datscha der Familie.

Durch das Gebüsch erspähen wir ein paar halb verfallene Holzhäuser, die erahnen lassen, dass sie früher einmal einen schönen Anstrich hatten. Die Farbe ist blass und gesprungen, auf dem Boden liegen Staub und Splitter. Dieser Ort sei ein Jugendlager für die noch jungen Kommunisten gewesen, erklärt Olga. An einer Stelle sieht man eine riesige finstere Leninbüste auf einer Säule, die bereits von den Bäumen des Waldes eingenommen wurde.

„Hier haben sich die Jugendlichen jeden Morgen versammelt und ein Lied gesungen“.



Wir verlassen das Sowjetcamp durch ein verfallenes Eisentor, über dem sich die kyrillischen Buchstaben des Namens im Rost verlieren.

Nicht weit entfernt ist ein gelichteter Hügel. Dahin kommen angeblich die Leute um Ski oder Schlitten zu fahren. Weit kommen sie dort jedoch nicht.

Als wir zurückkehren schickt Olga uns beide in ihren Garten, um Girsch für ihren Eintopf zu sammeln. Sie selbst nimmt sich unser mitgebrachtes Gemüse vor und mischt aus Platzmangel alles mögliche in einer Pfanne und diversen Töpfen zusammen. Die „Küche“ der Datscha bestand nur aus einer Kochplatte. Wasser gab es von einem Hahn außerhalb des Hauses. Auch ein kleines Plumpsklo befand sich hinter dem Haus.

Sie wirft Kräuter und Gemüse zusammen, während sie sich noch weiter mit uns unterhält.

Sie gibt auch Kochkurse, sagt sie, während ich gerade kräftig mit sehr viel Salz versuche Leben in die toten Pflanzen vor mir zu hauchen. Zum Essen lieben Russen anscheinend Brot mit Sonnenblumenöl und Salz, und tatsächlich ist das ziemlich lecker. Mein Smartphone klingelt plötzlich und am Apparat ist eine Dame von O2. Sie lacht vor Überraschung, als ich ihr sage, dass ich gerade keine Zeit für ihre Angebote habe, da ich beim Essen in der wilden Einöde nördlich von Sankt Petersburg sitze.

Olga ist begeistert und will, dass Uli und ich noch mehr Deutsch sprechen. „I love the German language. Please, talk a little bit more“. Das hatten wir bisher noch nie gehört. Dafür hörten wir von Olga besonders ein Wort sehr häufig: „tak“. Dieses Wort ist ein Füllwort und wird von Russen beliebig in Pausen oder am Anfang von Sätzen verwendet. In ein Schweigen passt immer ein Tak.



Uli und ich wollen langsam dennoch aufbrechen. Auf dem Weg zur Bahn treffen wir Olgas Oma. Die beiden hatten vorher telefoniert und wir erkannten uns auf dem Weg. Die Dame sprach tatsächlich ein paar Brocken deutsch und wünschte uns alles Gute.

Der Weg zurück nach Sankt Petersburg verlief ohne Probleme. Statt eines Taxis entschieden wir uns den Weg nach Kuzmulovo zu laufen. Wir waren sehr beeindruckt davon wie sauber es hier im Dorf als auch in der Stadt Sankt Petersburg war. Wir sahen kaum Müll. Sie sind sehr sauber, diese Russen.


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