Unverhoffte Freundschaften in Tuschetien

15.-16. September

Wir verbringen eine großartige Nacht unter der Milchstraße auf dem 3000 Meter hohen Pass, der auf der abenteuerlichen Straße ins Herz Tuschetiens führt. Wir wachen kurz vor Sonnenaufgang auf. Ich steige auf den nächsten Berg, um Fotos des Spektakels zu machen. Im Tal bilden Wolken einen Ozean, der sich bald in Luft auflösen wird.

Beim Abstieg höre ich einen lauten Knall. Neben mir läuft einer der Bewohner des Containers, unserer Nachbarn. Der Mann hat ein vernarbtes Dreitagebartgesicht, eine Militärhose, ein beeindruckendes Messer, ein Gewehr sowie einen sehr leblosen Vogel unter dem Arm.

Manche könnten denken, das mit dem Kerl nicht gut Kirschen zu essen ist und man dem besser aus dem Weg geht. Ich denke – der Typ ist ein geiles Fotomotiv! Ich rufe ihm ein “доброе утро” zu und rufe fragend “Foto? Foto?”, während ich fuchtelnd auf meine Kamera zeige. Der Mann hält verwundert inne und posiert, während er sich eine Zigarette anzündet. Ich zeige ihm das Foto, woraufhin er mich mit einem breiten Grinsen anstrahlt und mit einer Geste ihm zu folgen los läuft.

Er ist es nicht gewohnt zu modeln.

Er betritt das dunkle Loch seines Containers, aus dem es riecht und klingt als hausen dort fünfzehn Pumas. Er nimmt wenig Rücksicht auf das Schnarchen seiner Kumprls und schleppert in einem hinteren Winkel herum.

Mit freudigem Enthusiasmus kommt er mit ein paar Tüten und einer Flasche zurück und legt alles sauber auf einer Bank neben dem toten Vogel auf, während er das Messer daneben in das Holz rammt.



Das wichtigste zuerst, daher soll ich einen tiefen Schluck des Chacha trinken, wonsch sich mein neuer Freund ebenfalls eine ansehnliche Menge auf einmal genehmigt. Ich gebe zu verstehen, dass ich eben zum Zelt muss. Dort sammle ich sowohl Uli als auch unsere Flasche Scotch ein, um das Frühstück zu vervollständigen.

“Chocolaaaat” ruft der Georgier glücklich nach einem guten Becher des Whisky und gießt großzügig seinen Chacha nach. Es ist sechs Uhr morgens, ich muß angetrunken noch den zweiten Teil einer der gefährlichsten Straßen der Welt mit einem kaputten Auto fahren… Was soll da schief gehen?



Der Mann ist mittlerweile so ausgelassen, dass er Uli das Messer in die Hand drückt und damit posieren lässt. Danach gibt er mir seine Flinte, nimmt das Messer selbst in die Hand und posiert mit mir für Ulis Kamera.

Aus den Tüten gibt er uns altes Brot, Tomaten, Melonen und Fleisch zu essen. Die Herkunft dessen erklärt er uns, indem er eine Ziege gestikuliert und danach verschwörerisch guckt. Uli übersetzt, dass der Typ einen offenbar geschützten Kaukasusbock erledigt und zu Frühstück verarbeitet hat.

Als wir gestärkt und angetrunken genug sind verabschieden wir uns von unserem Freund und fahren in Schlangenlinien den Pass hinunter. Etliche Hirten kommen mit ihren Schafherden an uns vorbei. “Sheep everywhere on the streets, it’s crazy”.

Unser Auto ist voll versichert, außer den Reifen. Wir scherzen, dass, was auch immer passiert mit der Kiste, wir müssen jedenfalls die Reifen zurückbringen.



Uns kommen auf den steilen Serpentinen mitunter Lastwagen rückwärts entgegen.

Die Kurven sind so steil, dass ihr Wendekreis dafür nicht ausreicht.



Wir kommen an einem See vorbei, aus dem die herausragenden belaubten Birken eine Geschichte davon erzählen, dass sie noch nicht lange unter Wasser stehen. Eine gewaltige Gerölllawine muss vor kurzem hier hinab gestürzt sein und eine Abteilung Schaufelraupen widmete sich der Aufgabe das Tal von Tuschetien erreichbar zu machen.

Mit unserem kleinen Auto konnten wir einfach hindurch. Nach der Fahrt durch einen dicken Nadelwald erreichen wir Omalo.



Der Ort zeigt uns gut, wie Georgier jahrhundertelang abgeschottet lebten und immer noch leben. Einige Täler sind nach wie vor über den Winter für ein paar Monate nicht zu erreichen.

Die Gebäude sind sehr urtümlich, zwischen den Häusern sind nur ausgetrampelte Pfade und Pferde. An der Spitze des Hügels thronte; drei alte Wehrtürme, von denen wir einen beeindruckenden Blick in die Täler haben.

In dem Ort gibt es die Bäckerei einer Frau, die in Deutschland backen gelernt hat und ihre durch eine internationale Organisation geförderten leckeren Brote vertreibt.

Nach einem guten Mahl aus Kachapuli und Salat verabschieden wir uns von Jonas, der von hier aus die nächsten Tage in ein anderes Tal wandern will.



Wir möchten gerne tiefer in die entlegenen Täler hinein fahren, doch die Tatsache,

dass wir über die Hälfte unseres Sprits bereits verbraucht haben und es hier keine Tankstelle gibt lässt uns umkehren.



Wir übernachten außerhalb des Ortes in einem Kieferwald. Das Aroma der Nadeln in der Sonne liegt in der Luft. Wir zelten nahe einem Abgrund, aus dessen Tiefe stetig das Rauschen eines Gebirgsbaches zu hören ist. Es soll in dieser Gegend neben Wölfen und Bären auch Leoparden geben, aber schaffen es nicht einen davon zum Abendessen einzuladen.

Nur ein schlauer Leopard ist ein lebendiger Leopard und ein schlauer Leopard hält sich von Menschen fern. So die Schule der Evolution in diesem jahrtausendelang besiedelten Gebiet.



Zum Frühstück sind wir am nächsten Morgen wieder bei unserem Freund auf dem Pass und diesmal sind seine Freunde auch wach und laden uns zum Essen ein. Natürlich gibt es wieder Chacha und ich bekomme wieder die Flinte in die Hand.

Der Georgier macht eine Patrone in den Lauf und lässt mich damit zum Vergnügen aller den blauen Himmel erschießen. Ich versuche jeden geschützten Vogel zu vermeiden.



Ich versuche weitestgehend den Wagen rollen zu lassen, um den Benzinverbrauch klein zu halten. Innerlich stelle ich mich darauf ein irgendwo am Wegesrand bald nach Benzin zu betteln. Doch es klappt, wir erreichen das Tal von Kachetien und können den Wagen volltanken lassen.

Ich telefoniere mit unserer Mietwagen Firma und organisiere einen Austausch des Wagens. Die Erklärung dessen, was eigentlich kaputt ist, erfordert viel Geduld, da nichts direkt offensichtlich kaputt ist.