Tagebucheintrag
17. Februar 2007
Wir haben uns für den Bus um 9 Uhr entschieden, um möglichst noch einen halben Tag in Oarzazate und die Gelegenheit zu haben die Stadt kennenzulernen. In unserem Hotel in Marrakesch stehen wir früh auf und packen unsere Sachen. Um halb 8 ist jedoch leider noch keiner an der Rezeption, also gehen wir erst einmal frühstücken. Als wir kurz nach 8 zurückkommen ist die Rezeption noch immer unbesetzt. Ich schnappte mir die Putzfrau, die ein kleines „Zimmer“ oder einen Schrank unter der Treppe zusammen mit ihrem Hund bewohnt, aber immerhin schon kräftig am Arbeiten ist. Unsere Schlüssel einfach abzugeben wäre ja nicht das Problem, doch hatte unsere Gastgeberin als einzige in Marokko darauf bestanden einen Pass zu behalten.
Die Putzfrau wird nervös, weil ich böse bin und sie fürchtet, dass ich meinen Zorn über die Chefin an ihr auslassen könnte. Sie meint, normalerweise kommt die Hotelbesitzerin erst so gegen 10 Uhr. Und leider hat die Putzfrau auch nicht den Schlüssel für das Fach, wo die Chefin den Pass hingelegt haben könnte. Na prima!
Da uns nichts anderes übrig bleibt warten wir auf unserem Balkon und sehen zu, wie das Treiben auf dem Djemma-e-Fna wie jeden Vormittag zunimmt. Die Zeit vergeht langsam, doch irgendwann ist es 10 Uhr. Doch noch immer lässt sich die Frau des Hauses nicht blicken. Es dauerte bis nahezu halb 11 Uhr, bis sie endlich mit ein paar Einkaufstaschen beladen ins Hotel kommt. Ich schäume vor Wut, spare aber meine Kräfte, um möglichst schnell zum Busbahnhof zu kommen, wo um Punkt 11 Uhr schon der nächste Bus fahren soll. Gut, dass wir flexibel geblieben sind und noch keine Fahrkarten gekauft haben.
Abfahrt im Chaos
Wie zuvor stürzen sich am Bahnhof sofort wieder unzählige Leute auf uns, die uns überall hin schicken wollen. Su und ich wimmeln sie ab, bis wir vor dem Schalter von der Linie stehen, die jede Stunde nach Ouarzazate fährt. Die Leute wittern ihr Geschäft und kassieren uns ein. Vor allem verwenden sie wieder ihr bewährtes Prinzip der Hektik. Der Bus soll fahrplanmäßig in 5 Minuten fahren, darum werden wir sofort und umgehend mit Eskorte dorthin gebracht. Spontan wird auch noch eine Gepäckverwahrungsgebühr für den Kofferraum eingeführt, und so, genügend ausgenommen, können wir endlich Platz im Bus nehmen. Ich bange jedoch um meinen großen Rucksack, der nun offen im für jeden zugänglich im Kofferraum liegt…
Im etwas spartanischen Bus erwartete uns eine Überraschung, denn da sitzen schon Chad und Becky, die auch uns erstaunt ansehen. Während wir ihnen den Grund unseres späten Aufbruchs erläutern füllt sich der Bus langsam mit Leuten, alten Frauen und Männern und nur wenigen jungen. Alle Gäste sehen so aus, als hätten sie eine günstige Verkehrsform nötig. Dann betreten auch noch Frauen und Kinder den Bus, um Wasser oder Kleinigkeiten zu verkaufen.
Währenddessen versuchen draußen alle möglichen Leute alle möglichen Gepäckstücke in und auf dem Bus zu verteilen. Einer klettert auf den Bus, montiert da eine Leiter vom Dach, schleift sie über den billigen Lack, dass es ohrenzerreißend quietscht, und lässt sie am Rand herab. Er klettert mit dem offensichtlich vollkommen überflüssigen Ersatzreifen auf dem Rücken herunter und kommt wenig später mit einem anderen wieder, den er wieder nach oben trägt und die Leiter danach wieder ebenso lautstark wie schädlich auf den Bus hievt. Uns fällt auf, dass nur Touristen die aufgeführten Abfahrtszeiten ernst nehmen.
Als der Bus so gut wie voll ist stellt sich am Eingang ein Mann auf und beginnt wild gestikulierend eine Ansprache. Er fuchtelt mit irgendwelchen Pillen und danach mit Tüten in der Luft rum. Er brauchte ziemlich lange und scheint sich oft zu wiederholen, so gut man das ohne Arabischkenntnisse beurteilen kann. Irgendwann jedoch gab er endlich Ruhe und die Fahrt kann endlich los gehen. In wenigen Minuten müsste ja schon der nächste Bus abfahren. All diesen Aufwand betreiben die Leute jede Stunde?
Der Niedere und Mittlere Atlas
Nachdem wir Marrakech endlich hinter uns gelassen haben wird die Fahrt interessant. Zuerst ist die Landschaft einfach karg. Man sieht Dörfer und etwas Grün entlang eines kleinen Baches, aber ansonsten bleibt die Landschaft monoton. Das ändert sich jedoch, je weiter wir in die Richtung der Berge kommen. Nach einiger Zeit, die wir einem wunderschönen Tal folgen, das durchflutet ist von Dattelpalmen, biegen wir ab in die ersten Vorgebirgszüge. Man sieht viele Dörfer und Kasbahs, alte Lehmfestungen, und endlich mal wieder die ersten „richtigen“ Bäume.
Wir schrauben uns höher und höher und können von oben herab sowohl zurück in das karge Tiefland als auch auf die ersten schneebedeckten Berge vor uns blicken. Dazwischen liegen wunderschöne Täler, durchzogen von frischen Gebirgsbächen und umsäumt von einem Meer aus Blumen.
Nach vier Stunden Fahrt macht der Bus Pause in einem Gebirgsdorf, wo die Bewohner schon darauf eingestellt sind den Leuten frische Tajine und Wasser zum Kauf anzubieten.
Einige geschäftstüchtige Dorfbewohner haben eine Auslagefläche für Fossilien vorbereitet, wobei mich mein Reiseführer darauf aufmerksam gemacht hat, dass einige davon echte Handarbeit sind. Gefälscht oder echt wirken die Stücke eindrucksvoll: versteinerte Trilobiten, Muscheln und wunderschön gemachte Quarzkugeln stehen günstig zum Verkauf. Su und ich beschränken uns trotzdem aufs Ansehen.
Irgendwann hupt der Fahrer ein paarmal laut und die Leute kehren zurück. Weiter geht die rucklige Fahrt über die Berge. Man kann deutlich die Unterschiede zwischen dem Niederen, dem Mittleren und dem Hohen Atlas sehen, auch ohne die Teppiche der jeweiligen Stämme sehen zu müssen. Während der Niedere Atlas von Kiefern, Olivenbäumen und Gras bewachsen wird und eine angenehme Wärme und würzige Geruch die Sinne verwöhnen ist der Mittlere schon deutlich härter.
Am Rand der Straße gab es viel Schotter und nicht mehr viele Dörfer. Man sieht immer mal wieder wenige Hütten, in deren Umgebung Kinder eine Handvoll Ziegen hüten. An der Straße führt ein flacher, milchiger Gebirgsbach entlang, an dessen Ufer sich aus dem Geröll tausende Blumen recken, während die wenigen Bäume hier noch vollkommen kahl vom Winter sind.
Vom Hohen Atlas in die Wüste
Wir schrauben uns die Serpentinen bis zu einem Pass auf 2500 Metern hinauf. Auf den Bergen um uns herum liegt noch viel Schnee, doch auf dem Pass ist alles frei und es ist überraschend warm. Von hier aus hat man eine Aussicht einerseits auf den westlichen Atlas und das dahinterliegende Tiefland, andererseits in den Osten, wo nach einigen Gebirgszügen und dem Land des Flusses Drâa die Wüste anfangen soll.
Nachdem wir uns die Berge wieder einigermaßen heruntergeschraubt haben ändert sich das Landschaftsbild in sofern, dass wir nun durch große Talkessel fahren, die gesäumt sind von hohen und steilen Plateaus, zwischen denen wieder größere Siedlungen und alte Kasbahs liegen. Viele Menschen sehen wir jedoch nie.
Irgendwann verlassen wir auch die Talkessel und fuhren auf das offene Land.
Theoretisch kann man hier auch schon von Wüste sprechen, denn das Land war flach, voller Geröll und man kann bis zum Horizont nur weiteres flaches Land mit Geröll sehen, über das ein schwerer brauner, mit Sand beladener Wind fegt.
Wir erreichen Ouarzazate und kurven wir durch breite, aber menschenleere Straßen. Wir erreichen schließlich den Busbahnhof, wo erst einmal wieder Hektik am Ausgang und vor den Gepäckstücken herrscht. Ich mache drei Kreuzzeichen, als ich meinen Rucksack unversehrt wiederfinde. Wir sind erstmal etwas orientierungslos, aber sofort kam ein junger Mann auf uns zu, der uns das Kärtchen eines Hotels zusteckt und anbietet dorthin zu führen. Mir kommt er wirklich freundlich vor, aber aus Vorsicht – und mittlerweile Gewohnheit – lehnen wir erst einmal dankend ab, um selbst auf Erkundung zu gehen.