Zwischen Mittelmeer und Skutarisee



Ursprünglich gab es die Idee bis zur wunderschönen Bucht von Kotor zu fahren und die gleichnamige Stadt zu besuchen. Doch die Zeit rennt uns davon und angesichts der langen Wartezeiten an den Grenzposten zwischen Albanien und Montenegro in Nähe des Meeres möchten wir keine großen Experimente wagen. Immerhin folgen wir seit nun fünf Jahren erfolgreich den beiden unumstößlichen Reiseregeln:

  1. Regel: Kein Stress
  2. Regel: Kein Stress

Also entscheiden wir uns für eine entspannte Umrundung des Skutarisees, eines der größten Seen Europas. Im Norden des Sees befindet sich großes Marschland, das von vielen Ortschaften umsäumt wird, deren Straßen zur Hauptstadt Podgorica führen. Diese Stadt wollten wir allerdings nicht besuchen, sondern uns der Natur widmen. Wir werden jedoch dahingehend enttäuscht, dass wir vom Nordufer des Sees nicht viel zu sehen bekommen. Die Ortschaften sind trist, das Wetter diesig und die Weite des Marschlandes lässt das Ufer lediglich in der Ferne erahnen.



Wir umrunden den See und überqueren auf eine sehr lange Brücke einen Arm des Sees und blicken auf eine fantastische Insellandschaft. Hier ist alles Nationalpark, der für seine Vogelwelt berühmt ist. In der Tat wäre es schön hier mit einem Boot (z.B. meinem Kayak) diese Welt in Ruhe zu erkunden. Getrübt wird die Idylle von einer riesigen Rauchwolke, die von zahlreichen Feuern stammt. Es scheint der Tag der Müllverbrennung zu sein. An zahlreichen Orten sehen wir, wie man wie Plastik und Unrat in qualmende Flammen setzt und den See dadurch in einen beißenden Nebel tauchten.

Die lange Brücke endet am nächsten Ufer in einem Städtchen namens Virpazar. Wir sind hungrig und der Tag neigt sich dem Ende zu. Doch in diesem Ort scheint man einige Touristenbusse offen stehen gelassen zu haben. Viele junge Leute wuseln auf den Straßen herum und wir sehen viele volle touristische Lokale. Das ist uns dann doch zu viel und wir entschließen uns dazu eine kleine Küstenstraße die Berge entlang zu fahren. Diese ist auf der Karte nicht als “scenic route”, sondern eher als unscheinbare Nebenstraße, ausgezeichnet, stellt sich aber als erfreuliche Überraschung heraus und begrüßt uns mit einem atemberaubenden Panorama über den See.



Die Straße ist extrem eng und natürlich gibt es keine Abgrenzungen zum tiefen Abgrund in Richtung des Skutarisees. Der erste Ort, den wir erreichen, nennt sich Godinje. Dort wird eine alte Tradition unserer vergangenen Road Trips lebendig, und zwar das Unterkunftfinden. Es gibt ein paar Pensionen in diesem Ort und wir wechseln uns dabei ab dort zu klopfen und nach einem Zimmer für uns zu fragen. Doch der Ort scheint bei Touristen sehr beliebt und dementsprechend ausgebucht zu sein.

Nach weiterer Fahrt die Kurven des Berges entlang erreichen wir die steinernen Ruinen eines alten Dorfes, in welchem sich irgendjemand die Mühe zu machen scheint einzelne Teile zu renovieren. Im hinteren Bereich des Geisterdorfes, neben einer Baustelle und etwas wunderschön hergerichteter mediterraner Häuser treffen wir auf eine kleine Terrasse. Dort sind zwei Tische hergerichtet, an denen Touristen kleine kulinarische Kunstwerke vor sich haben, während ihnen ein Mann etwas über den Wein vor ihnen erzählt.

Ich entschuldigte mich für die Störung und fragt nach einer Unterkunft. Der Mann stellt sich als der Besitzer des winzigen Lokals vor und bedauert, dass er für heute Abend schon Gäste in seinem einzigen Zimmer hat. Aber er verweist mich an einen Freund im Ort, der unter Umständen noch etwas frei haben könnte. Ich bedanke mich und wir fahren die Serpentinen ins Tal zurück, um dort den Freund zu finden.

Das Haus finden wir nach der Beschreibung schnell, doch niemand ist in dem unverschlossenem Gebäude zu finden. Ich laufe um das Haus herum und rufe in der Hoffnung auf Antwort. Aus dem Nachbargrundstück lässt sich Bewegung erkennen und ein glatzköpfiger Mann mit gerunztelter Stirn kommt zu mir und fragt mich nach meinem Anliegen. Es stellt sich heraus, dass es sich bei ihm um den Gesuchten handelt. Seine Zimmer sind ebenfalls belegt, doch sein Cousin auf dem Grundstück, von dem er gerade kommt, hat noch zwei Zimmer in einem separaten kleinen Häuschen frei. Der Preis, die Zimmer und die Lage sind perfekt; besser hätten wir es nicht finden können.



Nachdem wir unseren Kram in unserer mühsam erarbeiteten Unterkunft abgeladen haben fragen wir unseren Gastgeber nach einer Möglichkeit im Ort etwas zu essen. Die beiden Optionen bestehen darin in den hektischen kleinen Ort Virpazar uns seinen überfüllten Touristenlokalen zurückzukehren oder aber in die Ruine von Osgliliath – es sieht aus wie eine legendäre zerstörte Stadt aus dem Herr Der Ringe – von “Konoba-Godinje” zurückzukehren, zum Freund des Cousins unseres Gastgebers nochmals zu besuchen. Dort hat es uns zu Beginn schon gut gefallen, also fahren wir gerne die Serpentinen wieder hinauf, begrüßen den freundlichen Mann und richten ihm die Grüße von seinem Freund dessen Cousin aus.


Es gibt keine wirkliche Speisekarte, sondern drei kleine Vorspeisen, die man zu einem Wein bestellen kann, und von dem Mann und seiner Frau in einer winzigen Küche mit offenem Fenster vorbereitet werden. Während beeindruckend viele Katzen um unsere Beine streichen bewundern wir die schöne Kulisse, die aus flachen Steinen geschichteten Mauern, die sorgfältig gepflanzten Blumen und den Wein, der hier Pfosten der Terrasse emporwächst.

Der Besitzer erklärt uns, dass seine Familie seit vierzehn Generationen bereits in diesem Dort lebt. Er habe zwar seinen eigenen Hauptwohnsitz nun in der nahen Hauptstadt Podgorica, doch er ist es, der das alte Dorf wieder aufbauen möchte. Dafür setzt er viel Energie und Geld ein und hofft durch Touristen sein Vorhaben irgendwann zu Ende bringen zu können. Der Anfang lässt sich jedenfalls sehen.

Zum Brot mit selbstgemachtem Pesto und den marinierten Auberginen reicht man uns den eigenen Wein, der vom Weinberg hinter den Gebäuden stammt. Nach dem ersten Schluck des Roten blicken Uwe und ich uns an und jeder denkt genau dasselbe – einen besseren Wein haben wir im Leben noch niemals getrunken.

Wir lernten auch die Gäste kennen, die uns die Möglichkeit versperrten selbst diese Nacht hier zu verbringen. Sie stellten sich als sehr freundliche Familie aus dem Elsass heraus, die auch sehr gut deutsch sprachen. Wir empfehlen den Wein und kehren in der schwarzen Nacht in unsere Unterkunft zurück.



Während Uwe wie üblich, und wenn möglich, in einem separaten Zimmer vor sich hin schnarchen kann, suche ich morgens nach meiner Dusche nach Chris, der das Zimmer bereits verlassen zu haben scheint. Ich finde ihn draußen im Garten mit unserem Gastgeber und einem Glas klaren Rakis in der Hand grinsend den warmen Morgen und den Sonnenaufgang feiern. Der Mann spricht zwar kein Wort Englisch, eilt aber dennoch sofort los, um mir ebenfalls ein Glas zu besorgen und mir von seinem augenscheinlich Selbstgebrannten ordentlich einzuschenken.

Nun sitzen Chris und ich beide grinsend wie die Schneekönige vor acht Uhr am Morgen und jeglichem Frühstück im Garten und müssen etwas böse kichern bei dem Gedanken daran, dass der arme Uwe nun weder etwas trinken, aber dafür diesen Tag das Auto fahren werden muss. Wir betäuben unser schlechtes Gewissen mit dem Gefühl unserer Fürsorge für Uwes Gesundheit und ein paar weiteren Gläsern des ausgezeichneten Rakya.



Grummelnd fährt uns Uwe die schmale Straße die Südseite des Skutarisees hinauf. Chris und ich haben nicht nur jetzt schon einen sitzen, zudem haben wir heute auch eine wirklich fantastische Aussicht über den See. Der Rauch des vergangenen Tages ist weggeblasen worden und die Sonne scheint in vollen Zügen.

Wir können zahlreiche kleine Inseln mit kleinen Klöstern und Kirchen ausmachen, die offenbar beliebte Rückzugsorte von Mönchen sind. Im Dunst des Horizontes erkennen wir das Ufer Albaniens auf der anderen Seite.



Wir fahren nun an die Küste in den Ort Ulcinj, um dort das mediterrane Montenegro kennenzulernen. Der Ort verspricht einen tollen Aufenthalt durch wunderschöne Bilder von Stränden und einer beeindruckenden Festung auf den Klippen. Diese Bilder haben jedoch auch tausende andere Sonnenanbeter gesehen, weswegen die Stadt voller Leute ist.

Die Strände ähneln gut gedeihenden Robbenkolonien, auf den Straßen staut sich eine Blechlawine und die Lokale sind in mindestens sieben Sprachen auf die Touristen eingestellt. Die Kulisse und die Festung sind ohne Zweifel schön, doch unsere Herzen sind in der Einsamkeit und der Natur zurückgeblieben, weswegen wir die Schönheit der Stadt nicht genießen können.

Uwe darf endlich auch einen Wein trinken, da ich ihn wieder am Auto ablösen werde. Aber das ist keine Wiedergutmachung, denn der Wein schmeckt entsetzlich – ob er nicht gut ist oder dem Vergleich zur Geschmacksexplosion des Vorabends nicht standhalten kann lässt sich von uns nicht einschätzen.

Auch die Preise lassen sich mit dem französischen Teil der Mittelmeerküste vergleichen. Wie der Kosovo auch pfeift Montenegro auf die Währungsunion und nutzt den Euro ebenfalls selbst, sodass die Waren und Dienstleistungen nicht günstiger sind als beispielsweise in Italien. Woher die Montenegriner das Geld nehmen um die Preise bezahlen zu können ist uns schleierhaft. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass einige Montenegriner sich ihr eigenes Land nicht mehr leisten können.



Wir haben immer noch den Plan eine Nacht am Strand zu verbringen und hoffen, dass wir es diesmal schaffen. Unweit von hier gibt es einen dreizehn Kilometer langen Strand, den wir abfahren und den entlegensten Winkel davon für uns nutzen wollen. Doch unsere Naivität wird uns wieder vor Augen geführt.

Wenn man nicht glauben kann, wie man dreizehn Kilometer Strand durchgehend mit Menschen füllen kann, muss sich selbst diesen Abschnitt des Mittelmeeres ansehen. Von Idylle keine Spur. Daher ändern wir unseren Plan, buchten rasch über das Internet im albanischen Shkodra eine günstige Unterkunft in der Mitte der Stadt und machen uns auf die Reifen.