Zurück zu Echo der Zaren…
8.-11. September 2017
Es sollte nun in eine ganz andere Ecke von Russland gehen. Und zwar an die Grenze zum Kaukasus in eine touristisch unerschlossene Stadt namens Wladikawkas.
Warum hier wenige Touristen sind kann man eventuell einem Reisehinweis unserer Regierung entnehmen:
„Nordkaukasus:
Dagestan, Inguschetien, Nordossetien und Tschetschenien: Die persönliche Sicherheit von ausländischen Reisenden kann in diesen Regionen weder von den Zentralbehörden der Russischen Föderation noch von den lokalen Sicherheitsorganen gewährleistet werden. Die Interventionsmöglichkeiten der Behörden sind auch bei häuslicher Gewalt sehr beschränkt (z.B. Kindsentführungen durch einen Elternteil, Zwangsheirat oder Zwangseinlieferung in eine psychiatrische Klinik). Die Gefahr von Lösegeld-Entführungen besteht auch für Ausländer – ebenso das Risiko, in Terroranschläge oder Aufstände militanter Gruppen zu geraten. Zum Beispiel sind bei einem Anschlag in der Altstadt von Derbent im Dagestan am 30. Dezember 2015 eine Person getötet und elf verletzt worden.Von Reisen in die Republiken Dagestan, Inguschetien, Nordossetien und Tschetschenien wird abgeraten.“
Auswärtiges Amt, Stand 2017
Auch uns wäre diese Stadt nie in den Sinn gekommen, wenn Uli hier nicht Freunde hätte. Vor drei Jahren kam er mit einem Freund und Motorrädern durch diese Stadt, als seine Maschine den Geist aufgab. Zufällig hielt ein Autofahrer an und sprach die beiden auf Russisch an – ohne Erfolg. Er tippte auf seinem Handy, wählte und hielt das Gerät Uli hin. Am anderen Ende fand sich die Schwester des Fahrers namens Aleksandra, die zuerst auf Englisch, dann auf Deutsch erkundigen konnte, wo das Problem der beiden war.
Sie übersetzte wiederum ihrem Bruder Alan, der meinte, dass er sowieso nicht besseres zu tun hatte, und nahm die beiden in die nächste Werkstatt mit und nach der offiziellen Todesbestätigung des Motorrads auch bei sich für die folgende Woche bei sich auf. Uli und sein Freund Stefan mussten ein Ersatzfahrzeug finden und kauften ein Auto mit genug Platz für die beiden Maschinen. Dabei halfen Alan und seine Familie und boten ihnen zusätzlich Essen und Unterkunft.
Nun sollten wir sie wiedertreffen und wurden ebenfalls wieder voller Freude am Flughafen empfangen und unsere hungrigen Bäuche in einem Lokal mit ordentlich Schaschlik und fremdartiger Pizza gefüllt. Dazu gab es – keinen Wodka – eine grüne Waldmeisterlimonade, die wir die nächsten Tage noch häufiger sehen sollten.
Zwar konnte nur Aleksandra übersetzen und Uli ein paar Brocken auf Russisch sagen, doch konnten wir uns immer verständigen. Mit dabei waren Alans Frau Angela und ihr gemeinsamer kleiner Sohn Tamilan.
Sie brachten uns in eine andere Wohnung, als ihre eigene. Dennoch eine ganze Wohnung nur für uns mit Küche, Bad und Internet. Die alte Mamuschka, der die Wohnung zu gehören schien, betonte nur, dass wir auch bitte ganz leise sein mögen, da es viele Arbeiter im Haus gab, die früh aufstehen mussten.
Die Familie verabschiedete sich herzlich und sollte uns am nächsten Morgen wieder abholen. Ich verbrachte die Nacht damit 55 Briefmarken auf meine 11 Postkarten zu kleben.
Wir wurden frisch um halb acht von Alan abgeholt und zu ihnen in die Wohnung gebracht, wo bereits ein üppiges Frühstück aus Tomaten, Gurken, Käse, Pfannkuchen, Brot, Butter und Datteln auf uns wartete. Es war Wochenende und Alan, Tamilan und Aleksandra wollten mit uns in die Berge fahren und uns den Kaukasus zeigen. Auf dem Weg nickte Alan in eine Richtung und erklärte, dass vor wenigen Jahren in der nahen Stadt Beslan ein Terroranschlag auf eine Schule viele Leben gefordert hatte.
Und immer noch nahe sind Tschetschenien und Inguschetien. Dort ist es zwar nun ruhig, doch die blutigen Konflikte zwischen der muslimischen Minderheit und den Truppen der Regierung waren noch nicht lange her.
Das Wetter war prachtvoll, es hatte kaum eine Wolke am Himmel und wir konnten unsere warmen Klamotten endlich im Gepäck lassen. Am Rande hielt Alan mit seinem feudalen großen SUV, damit wir uns an einer natürlichen Quelle Wasser abfüllen konnten. Nicht weit davon gab es eine fantastische Schlucht, in deren Tiefe sich ein Bach weiter in den Berg hineinfraß. Und auf großen Anhänger stapelte man Bienenkästen.
Offenbar wurden diese ständig bewegt, wodurch die Bienen eine große Abwechslung ihres Speiseplanes hatten und die Natur sich an neuen Stellen über die befruchtenden Besucher freuen konnte. Auch hier, in der Stadt, als auch in den Bergen, sahen wir keinen Müll. Sie sind wirklich sehr sauber, diese Russen.
Alan fuhr in ein Tal und folgte der Schotterstraße bis zum Ende. Am Fuß des Berges und am Rand zu einem Gebirgsfluss sahen wir eine seltsame Formation aus Steinhäuschen mit dunklen Schieferdächern, die zu klein waren, um bewohnt zu sein. Bewohnt waren sie dennoch. Es gab Eingangslöcher zur Vorder- und Rückseite, durch die man haufenweise die Gebeine ganzer Familien sehen konnte. Es handelte sich um eine Totenstadt eines vergangenen Volkes des Kaukasus. Aleksandra erklärte, dass der soziale Status eines Hauses an seiner Lage zu erkennen war. Je weiter oben die Gräber, desto bedeutsamer waren die Familien.
Unmittelbar zu den Häuschen ragte ein hoher Wehrturm auf. Schon aus der Entfernung konnten wir ein paar davon in den Bergen hier sehen. Diese sind ein sehr typisches Merkmal des Kaukasus. Ganze Dörfer wurden aus Wehrtürmen gebaut. Dabei schichtet man aus Steinen einen quadratischen Turm auf und versieht ihn mit Stockwerken aus Holz, auf denen verschiedene Familien und das Vieh leben. Auch hier zählt das Prinzip: Höher ist immer besser. Bei einem Angriff konnten sich alle Familien in ihre Türme zurückziehen und von der Turmspitze hinab mit Pfeilen schießen.
Ein Junge gibt mir plötzlich die Hand und sagt Hallo. Später gibt er mir wieder die Hand, als ich aus einem Klo komme, und dann geht es zu deinem Vater uns sagt ihm auf russisch, ich bin sein Freund – so konnte mir Uli übersetzen. Sehr rührend.
Alan hatte die Idee zu einem schönen Wasserfall zu fahren. Das einzige, kleine Problem war jedoch, dass der schon in Georgien lag… und unsere russischen Gastgeber ihre russischen Pässe nicht dabei hatten.
Alan versuchte dennoch sein Glück am kleinen Grenzposten. Immerhin quasselte er eine ganze Zeit lang mit seinen südlichen Landesnachbarn, doch diese blieben hart. Auch wenn Russen beliebig nach Georgien einreisen konnten – was umgekehrt nicht der Fall war – brauchten sie mindestens dafür einen Pass.
Abends machten wir Spaziergang mit Alexandra ins Zentrum Wladikawkas. Wieder bestätigten sich die Klischees über russische Mode. Wie die meisten Frauen hatte sich auch Aleksandra unglaublich ins Zeug gelegt für eine stilvolle Erscheinung. Was man von den Männern nie sagen konnten. Immerhin wir als Gäste wollten einen besseren Eindruck machen. Ich hatte sogar ein Jackett dabei. Wir trinken Kvass, das malzige Bier Russlands, und Tee, wandern durch Nacht in Wladikawkas und seine Parks.
Doch Alan ruft zwischendurch an und ist besorgt. Ihm ist es gar nicht recht, dass wir nachts durch die Stadt wandern. Auch Aleksandra sagt, es wäre nicht direkt sicher.
Immerhin ist es sauber, wir sehen kein Müll. Doch abgesehen von einer kleinen Schlägerei unter Jugendlichen fällt uns nichts Besorgniserregendes auf.
Morgens haben Uli und ich noch etwas Zeit und machen bei heißen sommerlichen Temperaturen einen Spaziergang vor dem Frühstück zu einer orthodoxen Kirche. Da Sonntag ist findet dort auch gerade Gottesdienst statt.
Am Eingang gibt es für die Frauen Kopftücher. Sie müssen ihr Haupt innerhalb des Gebäudes bedecken.
Aleksandra war etwas unsicher, als sie uns sprach. „Wir haben heute den Geburtstag einer Nichte von Angela. Es ist sicher für euch langweilig.“ Aber ganz im Gegenteil, versicherten wir ihr. Aber sie war nicht ganz überzeugt davon, ob wir sie nicht auf den Arm nehmen. Wir waren wirklich Feuer und Flamme bei einem russischen Geburtstag dabei zu sein.
Wir fuhren wieder in die Berge zu einer Grillhütte, die hier scheinbar zu mieten waren. Für die schüchterne frischgewordene 15jährige waren Freunde und Verwandte in großem Maße angereist. Wir hatten als Geschenk eine Packung Gummibärchen dabei. Wir wurden von allem überfreundlich begrüßt, von den jungen und den Alten.
Erstere wollten unbedingt Fotos mit uns machen und uns bei Instagram folgen – was wir nicht hatten. Wir waren erstaunt, dass manche der Mädchen gar keine Mädchen mehr waren, sondern schon über 30 und stolze Mütter einiger der herumtollenden Kinder. Väter gab es zu denen allerdings keine. Das schien auch ein Phänomen zu sein. Während die Grills und das Fleisch vorbreitet wurde amüsierten wir uns mit den jungen Damen am nahen Flussufer durch Fotos und interessante Gespräche. Sie sprachen immerhin ein wenig Englisch, fanden die deutsche Sprache aber unheimlich sexy.
Es gab reichlich zu essen, Tomaten und natürlich Schaschlik sowie Käsefladen. Zu trinken gab es Arak – selbstgebrauter Schnaps, ähnlich wie Raki, Wodka (alle winkten ab uns bloß nur wenig zu geben) und Tee. Tatsächlich gab es nur einen, der Wodka trank. Sonst waren ausnahmslos alle überraschend abstinent. Es war üblich, dass der Gastgeber eine kleine Rede hielt, und nur dann wurde etwas zum Abschluss des Toasts getrunken.
Nach dem Essen bauten wir die reichlichen Kalorien wieder beim Volleyball ab bis es so dunkel wurde, dass man die einschlagenden Bälle nicht mehr sehen konnte. Daraufhin fuhr Alan seinen Wagen vor, schloss sein iPhone an und im Nu tanzten alle zur Musik von Enrique Iglesias in den nächtlichen Bergen von Nordossetien.
Es war der letzte Eindruck aus diesem wunderbaren Land, am nächsten Morgen sollten wir früh aufbrechen müssen.
Morgens früh Alan ruft an um kurz vor 6, ob wir schon auf sind. Russen nutzen übrigens wirklich verbreitet die aus Youtube bekannte Dashcam, um bei Unfällen das Geschehen abspielen zu können und damit kostspieligen Bestechungen aus dem Weg zu gehen.
Er bringt einen klapprigen Lada mit dazugehörigem alten Fahrer mit, der uns zur Grenze fahren wird. Der Abschied von der Familie ist traurig, aber wir hoffen, dass wir sie wieder besuchen können werden.
Bei der Ausreise aus Russland war die ältere Grenzbeamtin etwas grimmig, während eine junge Kollegin in der Tür lehnte und uns anschmachtete.
Als die Lady feststellt, dass wir Deutsche sind – “pa nemetzki” – lächelte sie breit und rief uns ernsthaft zum Abschied hinterher: “goodbye my love”. Selbst der Mann am Steuer unseres Wagens amüsierte sich darüber.
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