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20.-25. August
Wir überleben glücklicherweise auch den Rückflug mit einer der antiken fliegenden Konservendosen und erreichen Jakutsk wieder im strahlenden Sonnenschein und fast dreißig Grad. Unsere gute Lyoba war bei unserer Abreise so traurig, dass wir uns denken, dass sie sich über unsere Wiederkehr freuen würde. Und damit hatten wir recht, sie empfängt uns sehr herzlich und nimmt sich sogar den Rest der Woche für uns Urlaub.
Sie ist noch bei der Arbeit, als wir ankommen, aber ihr kleiner Sohn hatte Anweisungen bekommen und lässt uns etwas unsicher und bei dem heißen Wetter praktisch einfach in der Unterhose bekleidet in die Wohnung. Dort kann ich nun endlich, nach drei Wochen wieder, herzhaft duschen. Wir sortieren unsere Sachen und entspannen uns, bis Lyuba abends mit einem Couchsurfer aus Österreich erscheint. Sascha bleibt nur eine Nacht und fährt von Jakutsk bis nach Magadan, der östlichsten Stadt Eurasiens, die mit einer Straße erreicht werden kann, per Anhalter.
Wir genießen zusammen roh und mit Zwiebeln und Gewürzen den frischen Fisch, den Konstantin uns mitgegeben hat und tauschen unsere Geschichten aus. Nach einem ruhigen Tag und einer mit Wodka und Karaoke durchzechten Nacht in Jakutsk möchten wir uns eine besondere Sehenswürdigkeit Jakutiens nicht entgehen lassen: die Lenafelsen.
Südlich von Jakutsk ragen am Ufer der Lena gigantische Sandsteinsäulen in den Himmel, manche bis zu zweihundert Metern. Lyoba freut sich auf den Ausflug. Marcel wird bei Freunden untergebracht und wir mieten für die Reise ein Auto. Um doch wieder russische Klischees zu bestätigen war dieses schon extrem kaputt, als wir es entgegen nehmen. Die Scheibe ist gesprungen und die hintere Stoßstange zerfetzt.
Die Straße zu den Felsen ist ebenfalls sehr abenteuerlich und besteht über den größten Teil nur aus Schotter und Schlamm. Immerhin haben wir einen Wagen mit Vierradantrieb. Da die Strecke weit ist richten wir uns wieder auf eine Nacht in der Wildnis ein.
Unterwegs findet sich auch am Fluss eine riesige Sanddüne, die wir natürlich besuchen. Es wirkt bizarr, eine Form von Sandwüste inmitten der borealen Tundra und direkt an diesem gigantischen Strom zu sehen. Wir müssen mit einem Boot auf die andere Seite des Flusses übersetzen und finden in einem Dorf einen Mann, der uns dafür sein kleines Motorboot zur Verfügung stellt.
Ich habe in meinem Leben keinen mächtigeren Fluss gesehen. Die Breite erstreckt sich über Kilometer. Der Fluss wirkt wie ein riesiger See, der aber eine deutliche Strömung hat. Viele große Inseln bilden ein Labyrinth, in dem man sich auskennen muss, um die zügigste Strecke zum anderen Ufer zu finden. Wir erklettern die Düne und können uns von der Größe des Stroms aus der Höhe in Staunen versetzen lassen. Die epische Imposanz des Anblicks wird noch zusätzlich von den bedrohlich dunklen Wolken und zuckenden Blitzen am Horizont unterstrichen.
Wir haben vier Stunden mit dem Auto gebraucht, dann weitere drei Stunden an der Düne verbracht und müssen noch einmal fünfzig Kilometer durch Schlammpisten fahren, um unser eigentliches Ziel zu erreichen. Es ist spät und wir schlagen das Zelt auf einem Hügel über einem Dorf namens Tik Ani auf. Wir haben einen herrlichen Blick über den Fluss und können in der Ferne die Lenafelsen erahnen. Das Lagerfeuer brennt und wir machen uns wieder Nudeln in der Outdoor Küche. Ich packe wieder die Gitarre heraus und an ein Phänomen müssen Uli und ich uns wieder gewöhnen: die dunkle Nacht. Die Wochen nördlich des Polarkreises haben sich für uns nur wenig sichtbar auf die Helligkeit in der Nacht ausgewirkt, doch die Rückkehr drei Wochen später in Jakutsk hat dort die Dunkelheit zurück gebracht, welche in wenigen Monaten den ganzen Tag für sich erobert haben wird.
Der kommende Tag bringt eine Ernüchterung. Das strahlend schöne Wetter ist tief hängenden Wolken gewichen. Wir lassen uns mit dem Wildküchenfrühstück Zeit, aber es wird nicht besser. Wir fahren in das Dorf und Lyoba fragt sich durch, bis wir wieder einen Fischer finden, der uns zum anderen Ufer übersetzen wird.
Die Fahrt dauert über eine halbe Stunde, doch uns stockt der Atem vor der Größe der Säulen der Lena. Es sind nicht einfach ein paar Türme, die irgendwo vereinzelt auftragen. Es ist ein Bollwerk, errichtet von Titanen, das sich mehrere Kilometer den Fluss entlang zieht. Wir verrenken uns die Hälse, um die Säulen nach oben zu blicken, die langsam in den Wolken verschwinden. Das Gewitter von gestern hat sich nicht aufgelöst, sondern hier hinter den Felsen versteckt. Blitze zucken und wir erreichen eine kleine Hütte der Nationalparkverwaltung, bevor ein Starkregen einsetzt und vor die ganze Welt einen Duschvorhang zieht.
Der Schauer hält nicht lange und bald sind Uli und ich auf dem Weg zur Spitze eines der Felsen. Man meint, dass man uns Ausländer nicht alleine ziehen lassen könne, sagt uns Viachana, die uns als Führerin begleit. Warum jeder Jakute den Weg instinktiv besser wissen sollte kann uns die junge Frau, die gutes Englisch spricht und hier einen Sommerjob angefangen hat, allerdings nicht sagen. Es wird auch nicht besser, als sie immer wieder anhalten muss, um sich auszuruhen, während wir sie regelrecht nach oben hetzen. Die Qualen am Sobopol haben sich immerhin in einer guten Kondition ausgezahlt.
Wir erreichen die Spitze und bestaunen die Aussicht. Uli lässt seine Drone steigen, die hier wieder einwandfrei funktioniert. Die tief hängenden Wolken geben den Felstürmen eine besondere Form von Erhabenheit. Schleier aus Nebel ziehen durch die Festung aus Sandstein hindurch.
Wir haben eine lange Rückfahrt vor uns und kommen am späten Nachmittag an und sammeln Marcel ein. Uli und ich gönnen uns nur wenig Pause, dann gehen wir in die Stadt und treffen uns mit zwei Yakutinnen in unserem Alter. Der Abend in einem Pub verläuft sehr lustig und wird noch verrückter, als drei Österreicher zu uns stoßen, die ebenfalls um Batagay-Alyta in der Wildnis waren. Sie sind mit einem Hubschrauber zu einem abgelegen See namens Lybalakh geflogen und haben dort ihre Zeit mit Angeln verbracht. Wir wussten vorher von unseren Unternehmen und haben telefoniert. Die gegenseitigen Tips für Kontakte und Ausrüstung waren sehr wertvoll, doch nun treffen wir uns zum ersten Mal und können unsere jeweiligen Abenteuer bei einigen Wodkas austauschen. Irgendwann schließt der Laden, die Österreicher verabschieden sich zum Schlafen und wir ziehen mit den Mädels noch etwas weiter…
Wir klingen den letzten Tag wieder sehr ruhig ab, besorgen ein paar Souvenirs und schlendern ein letztes Mal durch Jakutsk. Bei einem letzten Abend mit unserer lieben Lyoba, Wodka und Karaoke endet die Reise sehr russisch und bleibt größtenteils in bester Erinnerung. Wer sollte ahnen, wie weitrechend die Folgen unserer Reise sein würden? Im April 2019 werden Lyoba und Uli heiraten.
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