Albanien?!? Was wollt ihr denn dort? Da ist doch nur Mafia und Terroristen!? Und Blutrache haben die da auch noch, richtig?!
So oder ähnlich sahen die Reaktionen vieler Freunde oder Kollegen auf das diesjährige Reiseziel von Chris, Uwe und mir aus, nachdem wir gemeinsam die vergangenen Jahre Schottland und Island bereisten.
Auch Uwe uns Chris selbst reagierten interessant auf meinen Vorschlag. “Was wisst ihr eigentlich über Albanien?”
Die Antwort ist: nichts. Ich habe aber eines im Sinn: wilde, vom Tourismus noch unerreichte Natur und die Vorstellung von der Gastfreundschaft des ursprünglichen Balkans. Wir sind bereit den Vorurteilen entgegen zu treten.
Wir erreichen Tirana leider mit einer Stunde Verspätung gegen ein Uhr nachts. Glücklicherweise werden wir vom Bruder des Besitzers der Unterkunft abgeholt, in der wir die nächsten drei Nächte übernachten wollen. Durch Julien und seine nächtliche Stadtführung erhalten wir auch einen ersten Eindruck vom Wesen der Albaner. Julien ist sehr freundlich, gleichzeitig aber bescheiden und ruhig. Er ist sehr offenherzig gegenüber allen unseren Fragen und freut sich über unser Interesse. Genauso empfinden wir in der Zukunft ebenfalls die anderen Albaner, die wir kennenlernen werden.
Wir erreichen unsere Unterkunft gegen halb drei Uhr nachts, wo wir – nicht – sofort schlafen gehen, sondern uns von der Reiselust angespornt erstmal auf der Terrasse unserer Unterkunft einen importierten Whisky gönnen. Seit unserer ersten gemeinsamen Reise durch Schottland haben wir immer das Wasser der Highlands bei uns.
Die erste Nacht ist schon eine Herausforderung, denn es ist unglaublich warm. Am nächsten Morgen finden wir Uwe in einem dünnen Laken auf dem Balkon vor.
Am ersten Tag gehen wir in der albanischen Hauptstadt auf Erkundungstour. Die Hitze von bald 40 Grad ist eine Herausforderung, aber der Enthusiasmus der Reise unterdrückt das. Tirana bietet vom Stadtbild eine überraschende Mischung aus verfallendem Kommunismus, römischer Geschichte und türkischer Besatzungszeit. Moscheen und orthodoxe Kirchen schmiegen sich aneinander, dazwischen ragen riesige Betonpaläste und italienische Villen heraus.
In der Mitte der Stadt hatte man zu kommunistischen Zeiten ein Mausoleum in Form einer Beton-und-Glas-Pyramide für den Diktator Hoxha gebaut. Heute ist der Diktator allerdings nicht mehr sehr beliebt; das Monument zerfällt und nur Tauben und Graffiti-Amateure würdigen es noch mit ihren Werken.
Auch das Essen und Trinken mischt sich aus den Einflüssen des nahen Ostens und Westens. Türkischer Mokka oder italienischer Espresso sind Standard jeden morgen, während die Albaner jedoch niemals auswärts frühstücken. Das macht man Zuhause. Man guckt uns an wie Außerirdische als wir früh morgens in einem Café nach fester Nahrung fragen.
Die Bars sind jedoch jeden Vormittag durchgängig mit Menschen mit Espresso vor sich gefüllt. Später erklärt man uns, dass es offenbar viele Leute sind, die auf eine Gelegenheit für eine Arbeit warten.
Lektionen über Albanien: Der Heilige Mercedes
Uns fällt auf, wie viele deutsche Autos durch Tirana fahren. Insbesondere scheint jeder zweite Albaner einen Mercedes zu besitzen. Egal in welchem Zustand. Die Spanne des Eindrucks eines Benz reicht vom Inbegriff der absoluten Schrottkiste, die nur von Farbe zusammengehalten wird, bis hin zum AMG-getunten goldlackierten Edelluxusmodell.
Diese besondere Vorliebe für die schwäbischen Autos werden wir noch durch ganz Albanien und ebenfalls den Kosovo und Montenegro beobachten. Was wir erfahren werden ist, dass das albanische Ego das eigene Auto verkörpert und wird und der Besitz eines Mercedes nicht nur Statussymbol, sondern gesellschaftliche Norm ist, von der man einfach nicht abweichen kann.
Dementsprechend gibt es auch unglaublich viele Autowäschereien (Lavazh), um die geliebten Luxuskarossen vom ländlichen Staub zu befreien. Die Straßen entbehren jedoch jeglicher Modernisierung und sind derart mit Schlaglöchern übersät, dass man sich wundert, wenn man mehrere hundert Meter auf intaktem Asphalt fährt. Woher so viele Leute in diesem armen Land das Geld für diese teuren Wagen haben und wie sie diese vor den Tücken der Straßen schützen bleibt uns ein Rätsel.
Wir besichtigen den großen Platz, der Skanderbeg, dem Nationalhelden Albaniens, der das Land vereinte und dem Land seine Flagge mit den zwei Adlerköpfen gab, die in die beiden Teile blicken, gewidmet ist. Dort befindet sich auch die schöne und berühmte Et’hem Bej Moschee, die Oper, das Nationalmuseum, die Universität und mehr, was mir nicht aufgefallen ist. Nach der Moschee besichtigen wir auch eine nahe orthodoxe Kirche für die religiöse Gleichberechtigung. Albanien ist mehrheitlich muslimisch, aber die Albaner sagen, dass die Religion der Albaner Albanisch ist.
Mit Italienisch kommt man weit. Aber wir lernen ein paar Begriffe mit Google auf Albanisch, die uns ein paar Sympathiepunkte bringen sollen:
- Guten Tag – mirëdita
- Hallo – përshëndetje
- Danke – falëmenderint
- Wie geht es dir? – si jeni
- Entschuldigung – justifikim
- Tschüss – mirupafshim
- Prost – gesua
Wir schlendern durch die Straßen, nehmen ein Taxi zu einer Seilbahn und fahren auf einen Berg mit einem grandiosen Aussichtspunkt mit Blick auf Tirana.
Im Anschluss treffen wir zwei Mädels nahe dem Stadtzentrum, eine Albanerin namens Rovena und die Amerikanerin Gaby. Rovena habe ich in Couchsurfing angeschrieben mit der Frage, ob sie Zeit hätte drei bescheuerten Deutschen vielleicht die Stadt zu zeigen. Sie antwortet, dass sie gerade selbst eine Frau aus Couchsurfing zu Gast habe. Als diese zustimmt sich zu treffen verabreden wir uns in einer Bar.
Die beiden kommen natürlich etwas zu spät. Wir stellen uns vor und erzählen von unserem Plan ein Auto zu mieten und das Land zu erkunden. Ohne Route oder irgendwelche Buchungen selbstverständlich.
Die Mädels erzählen, dass sie ebenfalls hinaus in die Berge zum Wandern wollen.
Wir finden uns alle von Anfang an sympathisch, sodass wir zustimmen vorerst die beiden ein paar Tage mitzunehmen und dabei in den Genuss von ein paar einheimischen Geheimtipps zu kommen.
Wir bummeln anschließend gemeinsam noch etwas durch die Stadt und Rovena zeigt uns die Universität und einen beliebten See mit Park. Dort ertüchtigen sich öffentlich viele Albaner an gratis Trainingsgeräten, die überall zur Verfügung stehen. Allerdings nicht die Albanerinnen – obwohl auch diese alle enorm sportlich aussehen.
An einer Bank im Park spricht mich ein junger Albaner namens Ans an, der sich von mir mit seiner Freundin fotografieren lassen möchte. Er berichtet, dass er gerade aus dem Gefängnis heraus ist und im Januar Deutschland besuchen möchte. Mein Bild will er gar nicht haben – er freut sich, dass es eine Aufnahme von ihm und seiner attraktiven Partnerin gibt.
In Tirana fallen mir die vielen Büchereien (Libreria) auf. Viele Cafés bieten gleichzeitig zu ihren Getränken eine üppige Auswahl an Literatur an, und auch in Kirchen finden sich Romane. Selbst am Straßenrand auf dem Land liegen Bücher herum – das Volk ist extrem belesen. In Freizeitgebieten – wie etwa am See der Stadt – gibt es moderne gläserne Lesebereiche, in dem Kinder sich Bücher schnappen, sich auf den Boden setzen und stöbern.
Überall im Land gibt es ebenfalls viele Exchange Läden. Die offizielle Währung ist der Lek mit einem Kurst von etwa 132:1 zum Euro (Stand August 2017). Jedoch wird auch häufig der Euro selbst als Zahlungsmittel akzeptiert. In den Wechselstuben kann jederzeit die andere Währung erhalten werden und der Euro ist nicht so stark von der Inflation betroffen wie der Lek.
Am nächsten Tag werden wir aufbrechen und die Mädels einsammeln. Wir sind sehr gespannt, was kommen wird.