Zurück zu 100 Kilometer bis nach Russland…
Um 6 Uhr morgens teilt uns der Wecker mit, dass es Zeit ist ins Abenteuer zu starten. Wir reisen zum Münchner Flughafen um von dort mit Aeroflot nach Russland zu fliegen. Noch beim Check-In buche ich uns noch über das Internet eine günstige Pension im Herzen Sankt Petersburg. Angeblich bot diese eine Abholung am Flughafen an, doch dort erwartete uns niemand.
Wir erhielten die Einreisen-Stempel von einer grimmigen Beamtin,
nachdem diese drei mal ein unverständliches туристы? (Tourist) fragte. Да, да, да! So weit ging mein russisch schon. Uli konnte etwas mehr, da er einen Sprachkurs besuchte.
Und dann waren wir drin. Russland. Das große Reich, Kommunismus, Sowjetunion, Leningrad (welches Sankt Petersburg zeitweise war), Putin, Wodka, Fellmützen, kyrillische Buchstaben und die strengen Gesichter von Menschen, gegen die jeder Granitbrocken weitaus mehr Humor auszustrahlen schien.
Genau so sah es hier auch aus. Ich fühlte mich wie in einer verbotenen Zone, als wenn jeder falsche Schritt zu einer wilden Verfolgungsjagd im Sinne von James Bond führen kann.
Uns wurde nicht klar wohin all die Menschen aus dem Flugzeug verschwanden. Wir stiegen in den einsamen Shuttle Bus, der uns in die Stadt brachte. Nicht viele Menschen begleiteten uns. Die Fahrt kostete wenige Rubel, umgerechnet 70 Cent. Wir lernten auf der Fahrt einen Digital Nomad kennen – eine neue Spezies von Menschen, die ihr Zuhause aufgeben, um auf ihren Reisen zu arbeiten. Unser neuer Freund war Journalist, der seine aktuellen Berichte aus der Transsibirischen Eisenbahn schreiben wollte.
Der Bus fuhr durch die Stadt und groß prangten die Titel der Firmen in kyrillischen Buchstaben. Ich beherrschte die Schrift schon etwas und konnte gleich üben.
Wir hielten an einer Metrostation, um von dort in die Innenstadt zu gelangen. Ich habe noch nie eine so eindrucksvolle U-Bahn gesehen. Der Glanz des Kommunismus, große Sowjetsterne zierten in Gold die verzierten Bögen.
Eindrucksvoll ist auch, dass man zu den Tunneln 50 Meter in die Tiefe fahren muss.
Die Bezahlung der Bahn erfolgt hier auch nach einem anderen Prinzip. Hier gibt es Schalter, an denen man Jetons für Fahrten kauft. Je Jeton eine Fahrt, egal wohin und wie lange man fährt. Auch diese waren sehr günstig.
Wir erreichten die Station Sataya (сатая) im Zentrum und fanden schnell die Adresse unserer Unterkunft. Allerdings fanden wir nicht die Unterkunft.
Es handelte sich um einen großen Wohnblock, zu dem an einigen Stellen massive eiserne Eingangstüren existierten. Dort gab es jedoch weder Klingelschilder noch sonstige Beschriftungen. Lediglich eine Zahlenkonsole diente als Klingel. Doch wo mussten wir hin? Wie funktionierte das?
Wir fragten in einem Schreibwarenladen im selben Haus. “Fragen” bedeutet, dass ich den Namen der Unterkunft wiederhole und hoffe auf ein Zeichen des Wiedererkennens. Vergeblich. Zum Glück gab es eine Buchungsbestätigung auf kyrillisch, die ich zeigen konnte. Die junge Frau im Laden wählte die dazu gehörende Telefonnummer, doch es meldete sich niemand. Sie zuckte mit den Schultern.
Wir liefen mit dem Gepäck auf dem Rücken noch einmal um den Block und durch einen Innenhof. Irgendwo mußte der Eingang doch sein. Außerdem unterschieden sich nun die Hausnummern von der uns genannten Adresse. Es musste hier sein. Wir waren ratlos.
Vor dem Geschäft bemerkte uns eine Dame, die uns anguckte und dann mit der jungen Frau des Ladens sprach. Währenddessen guckten sie uns immer wieder an. Die Dame ging zu dem Hauseingang, vor dem wir standen, und tippte auf der Zahlenkonsole herum. Sie schien irgendwen erreicht zu haben, denn sie sprach mit dem Gerät. Nach kurzer Zeit ging dir Tür auf, die Dame nickte uns hineinzugehen, drehte sich um und ging. Einfach so. Ohne zu lächeln! Wir riefen nur noch ein спасибо hinterher, doch sie zeigte keine Reaktion…
Wir betraten das Gebäude und stiegen die breiten Stufen des edlen Treppenhauses hinauf. Gleich am ersten Stock schaute eine Nase durch den Spalt einer Tür, die etwas geöffnet, dennoch aber sichtbar mit einer Kette gesichert war.
Die Worte waren russisch, aber da wir statt Waffen nur Rucksäcke dabei hatten und nicht sehr russisch wirkten reichte das Vertrauen dazu aus uns herein zu lassen.
Ich schaute auf einen dicken jungen Mann in weißem T-shirt. Uli sah eine dicke junge Frau. So stellten wir später fest. Jedenfalls sprach es jedoch keinerlei Englisch und schien von nichts zu wissen.
Doch Google Translator und Hände und Füße halfen. Von Bookings.com hatte hier noch niemand gehört – also zumindest nicht Sie bzw. Er. Denn sonst gab es hier niemanden.
Der Stil in der Pension wirkte wie eine alte heruntergekommen prunkvolle Wohnung eines kommunistischen Bonzens. Man zeigte uns verschiedene Zimmer und zwei Bäder auf dem Flur. Es gab keine Gäste und außer unserem verlegen grinsenden Gastgeber auch sonst niemanden.
Wir bekamen ein Zimmer und antworteten auf die Frage, ob wir lieber jetzt oder später zahlen wollten, dass wir im Zweifel lieber warten. Wir sahen sie bzw. ihn nie wieder. Jeden Tag sahen wir einen anderen Mann, der in einer Abstellkammer hauste und für uns das Bad reinigte. Andere Gäste gab es nie.
Vielleicht konnte uns die Kleidung Aufschluss geben über unseren Gastgeber. Wie uns auffiel und bestätigt bleiben sollte, sind die russischen Frauen sehr schön und immer gut gekleidet. Genau das Gegenteil trifft auf die Männer zu. Es galt scheinbar als besonders männlich auf jeden Geschmackssinn absichtlich zu pfeifen und mit Jogging outfit, Schmuck und Sonnenbrille die Aufmerksamkeit der Ladies auf sich zu ziehen.
Wir luden unsere Sachen schnell ab und beeilten uns nun noch das letzte Licht der untergehenden Sonne zu nutzen, um Sankt Petersburg zu entdecken. Die Stadt an der Niva zeigte sich von seiner schönsten Seite und die herrschaftlichen Stadthäuser an den unzähligen Kanälen wurden in sanftes orange getaucht.
Wir gingen die Kanäle entgang und gelangten zum Newska Prospekt. Prospekt heißt hier jede große Straße. Wir kamen an der Eremitage vorbei bis zur Niva mit all ihren Brücken. Nachts wurden diese nach und nach für die Schiffe geöffnet, was als touristisches Highlight galt.
Neben einer Kirche sehen wir einen Kiosk. Leider hatte er schon zu, aber kurioserweise konnte man hier neben Zigaretten auch Gewehre und Pistolen kaufen. So einfach ist das.
Auch der Mond war uns gewogen, als er nach dem Verlassen der Sonne in voller Größe über den Häusern erschien. Nachdem wir unseren ersten Hunger nach Fotos gestillt hatten wurde es Zeit für die kulinarische Entdeckungsreise. Es war jedoch gar nicht einfach ein russisches Lokal zu finden. Vor allem Chinesisch und Georgisch schienen sehr beliebt zu sein.
Letztendlich fanden doch ein gutes Restaurant, in dem wir einfach alles einmal ausprobieren wollten.
Essen und Wodka, Pelmini und Fischsuppe, Plov, Borschtsch, Soljanka und Manti probierten wir.
Wir folgten dem Ufer der Niva und machten weiter Fotos von den beleuchteten Brücken, bis wir müde ins Bett unserer leeren Unterkunft fielen.
Durch Couchsurfing erhalte ich die interessante Einladung einer jungen russischen Frau auf ihre Datscha, weit außerhalb von Sankt Petersburg.
Wie kann man da Nein sagen? Uli und ich machen uns am nächsten Tag auf den Weg: Die Datscha in Nirgendwo…