Auf der Hochzeit



Wir schlendern weiter durch Tepelenë in brütender Hitze, da hören wir traditionelle Musik. Rovena ist sofort hellauf begeistert und sagt, dass dort getanzt wird und wir sicher die Gelegenheit bekommen mittanzen könnten. Wir machen sie höflich darauf aufmerksam, dass es 13 Uhr mittags und 40 Grad heiß ist und wir daher auf keinen Fall irgendetwas tanzen würden. “Nur 2 Minuten gucken” – “Na gut”

Es stellte sich anhand einer unverwechselbar als Braut gekleideten Frau als Hochzeitsfeier heraus und um die tanzende zu Vermählende tanzen eine ganze Gruppe junger Frauen, während Männer und Frauen drumherum stehen und klatschen. Die ganze Nachbarschaft glotzt von der Straße oder aus den Fenstern der Häuser dem Treiben zu. Als die Tanzenden sehen, wie wir auf der Straße stehen und dem Treiben ebenfalls zusehen, winkten uns alle von ihnen zu und bitten uns inständig zu kommen und dann – mitzutanzen.

Im Nu stehen wir in dem Kreis um die Braut zwischen den jungen Frauen und können uns nicht länger wehren. Eine Gruppe Männer bietet Musik mit einem Akkordeon, einer Klarinette und anderen Instrumenten. Glücklich versucht Rovena uns die Schritte zu erklären, was bei mir allerdings ziemlich scheitert. Wir sehen, dass die Braut beim Tanzen ein weißes Tuch in der Luft schwenkt. Ein weiteres, rotes Tuch wird herumgereicht und der oder diejenige, welche dieses Tuch erhält, wechselt dazu um die Braut herumzutanzen oder eine Polonaise um sie herum anzuführen. Während wir am Tanz teilnehmen werden wir mit allerlei verpackten Süßigkeiten beschenkt sowie mit Bier und Raki.

Als zwei Stunden später das Treiben sein Ende findet stehen der Vater, der Onkel und die Schwester der Braut vor uns. Die Schwester übersetzt uns auf Englisch, dass die Familie uns herzlich dazu einladen möchte am Abend zur großen Feier zu kommen, essen, trinken und Tanzen, alles umsonst, und wir würden Ihnen eine enorme Ehre bereiten.

Wir überlegen tatsächlich, ob wir die Einladung annehmen sollen. Der Tag ist noch jung, Tepelenë  nicht gerade schön und wir wollten die phantastische Stadt Gjirokaster sehen. Aber eine Hochzeitseinladung ist natürlich etwas Besonderes und jede Sehenswürdigkeit lässt sich auch noch ein andermal besuchen.

Zumindest das berühmte Gjirokaster möchten wir besuchen, nachdem wir uns vorsorglich in Tepelenë eine Unterkunft suchten. Die Gastfreundschaft geht soweit, dass uns ein Cousin einlädt, dass wir bei ihm übernachten können. Doch wir möchten lieber unabhängig bleiben und finden ein Hotel am Rand der Stadt.



Wir ziehen das Eleganteste an, was unsere Outdoorausrüstung zu bieten hat. Leider entschließt sich Chris dazu im Hotel zu bleiben.

Wir finden die Feier am gleichen Ort wie mittags vor und es freuen sich alle uns wieder zu sehen.

Viele junge Mädchen sprechen mit uns in allerbestem Englisch an. Wir sind sehr erstaunt darüber, wie gut sie die Sprache beherrschen. Die Mädchen erzählen uns, dass sie Englisch zwar in der Schule lernen, doch die Lehrer sind schlecht. Dafür schauen sie aber viel Fernsehen auf Englisch, viele Filme und Serien. Manchmal sieht sie drei Filme am Tag, sagt ein Mädchen.

Ein junger Mann namens Gent schwärmt uns von den deutschen Autos vor, allen voran natürlich dem Mercedes: “the king of cars”. Er hätte vor kurzem in Dortmund einen nagelneuen Mercedes gekauft, natürlich AMG getunt, und nach Albanien gebracht. Er sieht nicht direkt aus wie ein Obsthändler, sondern eher wie jemand, der Probleme mit Beton an den Füßen in einem See löst, daher fragen wir ihn nicht danach, woher er in einem der ärmsten Länder Europas das Geld für eine Luxuskarosse hernimmt.


Die Feier verlagert sich und wir fahren den anderen hinterher zu einem Restaurant außerhalb der Stadt und folgen unseren neuen Freunden auf die Dachterrasse. Dort sind lange Tafeln vorbereitet. Es gibt üppig zu essen, den obligatorischen Salat aus Tomaten, Gurken und Zwiebeln, dazu Käse und gekochtes Fleisch. Und natürlich wird dazu unglaublich leckerer Wein aus der Umgebung gereicht. Der Brautvater begrüßt uns herzlich uns lässt uns wissen, dass der Wein aus seinem Besitz kommt und dass er dafür sorgt, dass wir immer Nachschub bekommen werden.

Natürlich wurde unablässig getanzt. Die arme Braut muss scheinbar verhungern, da sie zu jederzeit für alle sichtbar im Mittelpunkt des Festes tanzen muss. Ich bewundere ihre Kondition. Die Musik pausiert nur wenige Male und nur hin uns wieder setzt ein Tanz ein, an dem nur alte oder junge Frauen teilnehmen.

Rovena erklärt mir, dass es höflich ist ebenfalls kurz mit der Braut zu tanzen und ihr Geld, mindestens 500 Lek, in ihr Halsband zu stecken.

Gesagt getan, tanzte ich mich in einem geeigneten Moment aus dem Kreis heraus zur Braut (was bedeutet, dass ich versuche mich irgendwie im Takt zu ihr zu bewegen), bewege mich ein paar Minuten um die Braut herum und stecke ihr wie empfohlen das Geld zu.

Vor allem die Kinder finden uns extrem spannend und fragen uns aus. Ein Junge läuft ständig zu seiner Mutter und kommt mit einem englischen Satz zurück. Im Anschluss saust er mit meiner englischen Antwort wieder zu seiner Mutter.

Ein Mädchen namens Lea sagt mir: “I like you because you are so beautiful because you are so tall”.

Ein anderer Junge findet meine GoPro sehr spannend, also mache ich sie an und lasse ihn damit durch die Feier rennen.





Gent erklärt uns, dass dies nur eine Feier von mehreren sei. Die Braut feiere zwei mal mit ihren Verwandten und Freunden (was nun der Fall ist), der Bräutigam feiert zeitgleich ebenfalls mit den Seinen und am Sonntag holt der Bräutigam seine Braut und dann feiern sie gemeinsam mit seiner Familie. Ich lese später, dass Hochzeiten in Albanien ein echtes Problem sind. Jede Familie versucht die anderen in der Austragung der Feier zu überbieten und nicht wenige treiben sich dabei in den Ruin. So hat angeblich die Regierung eine Kostenobergrenze von umgerechnet fünfzehntausend Euro für Hochzeiten eingeführt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Regierung solch ein Gesetz durchsetzen möchte und die Menge an Feiern, die auch diese Hochzeit ausmacht sowie die Anzahl der Gäste bestärken mich dabei.

Irgendwann gegen zwei Uhr nachts möchten wir uns auf den Heimweg machen. Da bittet mich die Schwester der Braut jedoch noch eine kurze Ansprache zu halten. Sie übersetzt ins Albanische, was ich dann mit dem Mikro in der Hand der gesamten Gesellschaft versuche mitzuteilen: die Ehre, die uns hier zuteil wird, welchen großen Dank wir empfinden, Glückwünsche und Segen an die Braut und die Familie sowie ein kurzer Auszug von den vergleichsweise eher langweiligen Hochzeiten in Deutschland. Und zum Ende natürlich das obligatorische Gezua!, auf das alle miteinstimmen!

Wir bedanken und verabschieden uns herzlich von allen Leuten, was ebenfalls lange dauert. Die Braut, die Eltern, die Onkel und Tanten, die Cousins und wer auch sonst immer verabschieden sich nun überschwänglich, obwohl wir vorher kaum oder gar nicht miteinander geredet haben. Es macht den Eindruck, als seien wir schon immer ein fester Bestandteil der Familie, auch wenn man uns am nächsten Tag vergessen haben wird. Wir werden es nicht vergessen und sind glücklich über den Zufall, der uns hierher gebracht hat.

Trotz des Weins bringe ich uns gut zur Unterkunft, wo wir feststellen, dass unser Wagen im Bereich Probleme Fortschritte gemacht hat und sich plötzlich nicht mehr abschließen lässt…