Tagebucheintrag
Nachdem wir eine Nacht durchmachten, um danach den Tag in Kuala Lumpur zu verbringen, machten wir eine weitere Nacht im Flugzeug durch, um nach Seoul zu kommen. Sowohl Michael als auch ich können im Flugzeug einfach nicht schlafen und so kommen wir am Morgen müde, aber glücklich, am Flughafen der südkoreanischen Hauptstadt Seoul an.
Zumindest konnte ich die Zeit im Flugzeug nutzen, um die koreanische Schrift zu lernen. Auch wenn sie aussieht wie Chinesisch, also unverständlich, handelt es sich bei der koreanischen Schrift um ein Alphabet aus Silben, die sich schnell erlernen lassen.
Wie kommen wir auf Südkorea? Michael hat sich entschieden in Berlin “Koreanistik” zu studieren. Dazu muss er natürlich Koreanisch lernen und was hilft besser, als die Praxis? Als er mich anruft und fragt: “hey Abenteurer, hast du nicht Lust mit nach Korea zu kommen?” antworte ich lediglich: “ok. Wann?” Wenige Wochen später, im September 2013, geht es los.
Ich habe schon viel von Couchsurfing gehört und bin fasziniert von dem Gedanken, bei einem Einheimischen übernachten zu können und dieses Land aus seiner Perspektive kennenzulernen. Die Erfahrung in Kuala Lumpur am vorangegangenen Tag war nicht umwerfend gewesen, aber immerhin ein Anfang.
Wir dürfen bei Jun übernachten. Seine Unterkunft als Wohnung bezeichnen zu wollen ist glatte Übertreibung. Er hat ein Zimmer, das auf dem Dach eines Gebäudes ausgelagert ist und ihm und seinem kleinen Hund ein Zuhause bietet. Dementsprechend ist für Michael und mich auch gar keine Couch vorhanden, sondern nur der nackte Boden. Aber was soll’s, wir sind jung und so…
Warum sollten wir uns ausruhen? Nur weil wir bisher zwei Nächte durchgemacht und nur auf Achse gewesen sind? Das ist doch kein Grund. Wir laden das Gepäck ab und machen uns mit unserem Gastgeber und seiner Freundin Miki auf den Weg, um die Gegend zu erkunden.
Zuerst gehen wir uns natürlich stärken. Jun bringt uns in ein einheimisches Restaurant und wir bestellen hoch und runter, was es auf der Karte gibt. Das ist nicht nur unsere Begeisterung neue Dinge auszuprobieren. In Korea macht man das wirklich so. Man bestellt Gerichte nur sekundär für sich selbst. Primär gibt es von allem nur kleine Portionen, die auf die Mitte des Tisches gestellt werden und von denen sich jeder bedienen kann.
Jun führt uns natürlich auch in die Welt der hochprozentigen Beilagen ein. Auf den Tisch gehört da zum einen Soju, der heimische klare Reisschnaps. Dann folgt Makgeolli, ein milchiges Getränk aus Malz, Wasser und Reis. Makgeolli hat zwar “nur” 6-13% Alkohol, dafür ist es so süffig, dass man gar nicht merkt, wie schnell es in den Kopf steigt. Cheongju ist ähnlich, nur die klare Variante.
Wir lernen auch, dass eine Rechnung nicht geteilt wird, sondern traditionell immer vom Ältesten am Tisch übernommen wird. Ich freue mich, denn das trifft auf Michael zu. Es sieht so aus, als müsste er mich wohl überall auf unserer Reise einladen.
Mit der U-Bahn geht es direkt zum Höhepunkt der Denkmäler von Seoul, dem alten Kaiserpalast Gyeongbokgung, der “Palast der strahlenden Glückseligkeit”. Er ist der erste und zugleich größte Palast von fünf Palästen die im Korea der Joseon-Dynastie errichtet wurden. Die Anlage ist riesig, man hat damals eher in die Breite als in die Höhe gebaut. Wir fotografieren und durchqueren viele Tore und bewundern deren mehrstöckigen Pagodendächer.
Wir bemerken gleich, dass kaum westliche Touristen anzutreffen sind. Die anderen Besucher scheinen einheimisch zu sein und man begutachtet uns dementsprechend neugierig.
Wir geben uns alle Mühe auf uns aufmerksam zu machen. Ich überzeuge Michael dazu auf unserer Reise ein eigenes Musikvideo zum gerade populären südkoreanischen Song “Gangnam Style” zu drehen, benannt nach dem gleichnamigen Businessviertel von Seoul. Dafür müssen wir lediglich peinlich vor der Kamera an den ungewöhnlichsten Orten diesen Gangnam Style tanzen.
Korea ist auch das Land des Ginseng. Man schwört auf die runzlige Wurzel und schreibt ihr geradezu magische Fähigkeiten zu. Man kann es trinken, essen oder auf die Haut reiben, es heilt Husten, Arthrithis, Krebs, Cholera, einfach jedes Leiden, für das ein Mensch jemals einen Namen gefunden hat.
Es gibt viele Läden und Apotheken, in denen Ginseng in den verschiedensten Formen angeboten wird. Eingelegt und haltbar gemacht in Einweckgläsern, in Tablettenform oder als Tinktur. Das Leben der Menschheit könnte so viel besser sein, wenn jeder Ginseng verwenden würde. Ich nehme mir vor Gesundheitsstatistiken der Nationen zu vergleichen.
Auch wenn die Metropole pulsiert fallen kleine Details auf, welche der heilen Welt in dieser modernen Konsumstadt Risse versetzen. Die Grenze zu Nordkorea ist in Sichtweite und es ist kaum vorstellbar, wieviele Raketen des Nachbarlandes vermutlich direkt auf die Hauptstadt des Südens zeigen. Zahlreiche Vorfälle aus der Vergangenheit erinnern daran, wie realistisch das Szenario eines Angriffs aus dem Norden ist.
Die Millionenstadt wäre als erstes direkt betroffen. Und so finden sich in U-Bahnstationen oder anderen Orten im Untergrund immer wieder Markierungen, die zu Bunkern zeigen, oder Schränke mit Hilfsgütern, wie z.B. Gasmasken.
Natürlich besuchen wir auch Gangnam, wenn wir schon zum “Gangnam Style” tanzen und unser Video dazu drehen.
Wir verbringen ein paar Tage in Seoul und nichts kann uns in unserem Erkundungsdrang aufhalten. Auch nicht, dass der Boden, auf dem wir schlafen, kalt und hart ist, und Jun’s Hund uns nachts übereifrig durch das ganze Gesicht leckt und vom Schlafen abhält.
Es folgt der vierte Tag, den wir ohne Schlaf beginnen, und die Folgen beginnen interessant zu werden. Ich kann nicht mehr einschätzen, ob mich jemand angesprochen hat, oder ich das nur gedacht habe. Oder ob etwas zu jemandem gesagt habe oder nur darüber nachgedacht habe. Es wird gruselig.
Wir lassen uns durch die Stadt treiben und Jun seiner Arbeit nachgehen. Er ist Künstler und gestaltet auch Grafitti – legale. Er gibt uns den Tipp abends hinauf auf den Fernsehturm zu gehen und die Stadt bei Nacht zu sehen. Es ist tatsächlich ein fantastischer Anblick.
In seiner Lieblingsbar lassen wir unsere Zeit in der Hauptstadt Südkoreas ausklingen. Das nächste Ziel liegt vor uns: Die Grenze zum Erbfeind und Bruder, zu Hoffnung und Furcht.